Ein Mann und eine Frau stehen an einem Fenster und schauen heraus. Er zeigt auf etwas
Der britische Soldat Kevin Kilgour kehrt nach 38 Jahren gemeinsam mit seiner Frau Jenny zurück in die ehemalige Kaserne.
20.06.2025
Interview

Zeitreise in den Kasernenalltag

Das Projekt „Oxford-Quartier“ ist eine Konversion von einem Militärgelände zu einem Wohngebiet – aber auch vorher haben hier schon Menschen gewohnt und Meilensteine ihres Lebens wie Hochzeit oder das erste Kind erlebt. Einer von ihnen ist Kevin Kilgour. 38 Jahre nachdem er als damals 21-jähriger Soldat in die Oxford-Kaserne gezogen ist, kommt der Schotte gemeinsam mit seiner Frau Jenny für einen Besuch zurück nach Münster. 

„Ich wusste nicht, dass wir herkommen würden“, berichtet Jenny. „Ich dachte, wir würden nach Amsterdam fahren, bis wir zum Flughafen in Aberdeen kamen und ein Mitarbeiter sagte: Sie fliegen weiter nach Düsseldorf. Und ich habe nur gefragt: Düsseldorf? Das ist in Deutschland!“ Ihr Mann Kevin hatte heimlich anlässlich ihres Hochzeitstags einen Ausflug nach Münster in die Oxford Baracks geplant. „Er sagte zu mir: Wir gehen zurück dorthin, wo alles angefangen hat“, erinnert sich Jenny mit Tränen in den Augen. 
 

Zurück, wo alles angefangen hat

Der Besuch ist für Jenny und Kevin bewegend. Die beiden kennen sich, seit sie 12 Jahre alt sind. Als Kevin in die Oxford-Kaserne versetzt wird, folgt Jenny ihm und arbeitet als Assistentin des Sergeants auf dem Gelände. Ein Jahr später heiraten sie. „Wenn man verheiratet ist, stellt das Militär einem ein Haus zur Verfügung. Wir haben in Gievenbeck in der Hensenstraße gewohnt“, erinnert sich Kevin. Davor hat er ein Jahr lang in Block 1 gewohnt – das L-förmige Gebäude im südöstlichen Zipfel des Quartiers ist noch gut erhalten. Es wird nicht abgerissen, sondern saniert und zukünftig mit zwei weiteren Neubauten als Wohnhof umgenutzt. 

Kevin steht auf der Wiese, die in ein paar Jahren der grüne Innenhof für die Bewohner:innen sein wird. „Hier war unsere Tankstelle und unsere Waschanlage. Man sieht die Ränder des kleinen Gebäudes noch, dort, wo das Gras etwas anders wächst.“ Dann zeigt er auf das Dach: „Die Antenne dort oben hat in ganz Münster den British Forces Broadcasting Service gesendet.“ Bei dem Anblick erinnert er sich wieder an eine Geschichte, die ihn zum Lachen bringt.


 

Eine Frau erzählt
Jenny Kilgour ist gerührt von der Überraschung ihres Mannes, die ehemalige Oxford-Kaserne zu besuchen, wo beide vor 30 Jahren gearbeitet haben.
L-förmiges Gebäude
Das L-förmige Gebäude am südöstlichen Rand des Quartiers ist Schauplatz zahlreicher Anekdoten der britischen Soldaten.

Eines Tages waren wir alle gemeinsam auf einem Militärmanöver und bis auf fünf oder sechs Leute, die aufgepasst haben, war die ganze Kaserne leer. Einer aus dieser Nachhut dachte, er ist schlau und spart Strom, indem er das ganze Licht in allen Gebäuden ausmacht. Er ging also zum Hauptschalterkasten und hat den Strom für das ganze Gebäude ausgeschaltet – inklusive des Rundfunksenders. Und in ganz Münster ist der British Forces Broadcasting Service ausgefallen. Nach mehreren Stunden kam ein Ingenieur auf das Gelände, ging zum Repeater und stelle fest: kein Strom. Dann ging er wieder runter, schaltete den Strom an: BFBS Radio war wieder da. Er wurde streng dafür bestraft, aber in die Zellen musste er nicht. Er hatte nicht gegen das Militärgesetz verstoßen, also gab es keine Disziplinarmaßnahme – aber er bekam einen kräftigen Schlag auf die Hände.




 

Kevin erinnert sich aber auch an andere Vorfälle, an Kameraden, die als disziplinarische Strafe ins kaserneneigene Gefängnis mussten.

Einer vom Royal Army Medicals Corps hat Fahnenflucht begannen und als er einige Tage später zurückkam, musste er 28 Tage ins Gefängnis. Die Zellen wurden von den Grenadier Guards geführt und diese Regimenter sind sehr diszipliniert. Die Gardisten marschieren überall hin. Als verurteilter Soldat geht man nicht zu Fuß, sondern muss mit Rucksack und Helm im Gänsemarsch marschieren.




 

Marschierende Soldaten
Der zukünftige Simonsplatz war einst ein Exerzierplatz, auf dem stramm marschiert wurde.
Ein Mann und eine Frau stehen neben einem Fenster in einer Wand, über dem „Reception“ steht
Hier hat Kevin viel Zeit verbracht: Der Arbeitsplatz des Funkers war der Schaltraum.

„Wie Zinnsoldaten!“ Das sagt Jenny, als sie sich erinnert. Kevin berichtet, dass der Exerzierplatz tabu war: „Wenn man auf die andere Seite wollte, durfte man nicht darüber laufen, sondern musste drumherum. Das hatte einen Grund: Vor langer Zeit, als die Briten im Krieg waren, und Leute in der Schlacht gefallen sind, wurden ihre Körper zurück ins Lager gebracht und auf den Exerzierplatz zur Identifizierung gelegt. Es gilt als respektlos, dort zu gehen, wo einst die Körper von Toten lagen.“

„Ich finde es fantastisch, dass der Ort neu genutzt wird.“

Beim Betreten des Gebäudes, das damals Block 1 hieß, fallen Kevin nach und nach immer mehr Geschichten aus den 1980er-Jahren in der Kaserne ein. Im Erdgeschoss führt der Weg am alten Büro seines Hauptfeldwebels, dem Squadron Sergeant Major, vorbei. „Ein großartiger Kerl. Ich bin immer noch mit ihm auf Facebook befreundet“, erzählt Kevin. „Ich bin mit vielen der Jungs, die hier waren, in den sozialen Netzwerken verbunden. Und sie freuen sich alle schon darauf, die Fotos zu sehen.“ Im ersten Stock gibt es einen Schalterraum, das Büro, in dem Kevin als Radio Operator (Funker) gearbeitet hat. Was der zukünftige Investor wohl für Pläne und Ideen für den Raum haben wird? „Ich bin jetzt 59 Jahre alt, ich war in meinen Zwanzigern, als ich hier war. Ich akzeptiere, dass sich die Zeiten ändern“, reflektiert Kevin die Entwicklung. „Und ich finde es fantastisch, dass der Ort neu genutzt wird.“ Er spricht mit stockender, gerührter Stimme. Im Flur hängt ein Münztelefon. „Hast du mich von hier aus angerufen?“, fragt Jenny ihn.

 

Früher gab es nur ein Telefon. Es müssen hundert Soldaten gewesen sein, die hier im Gebäude wohnten und dieses eine Telefon nutzen wollten. Wir saßen dann auf der Treppe und warteten darauf, an der Reihe zu sein. Wir hatten eine Vereinbarung, dass jeder maximal zehn Minuten dran ist. Jeder hatte ein 5-DM-Stück. Das Telefon hatte ein LCD-Display, auf dem man sehen konnte, wie es auf Pfennige herunterging. Und wenn es auf zehn Pfennig war, musste man sagen: Ok, ich muss jetzt gehen, Jenny, bye bye. Und man musste sich schnell verabschieden. In meinem ersten Jahr hier, als Jenny in Aberdeen wohnte, habe ich sie einmal pro Woche angerufen.



 

Ein Mann steht in einem leeren Raum
In den alten Zimmern der Soldaten werden für Kevin viele Erinnerungen geweckt.
Telefonhörer an der Wand
Heute ist es kaum vorstellbar, mit wie viel Aufwand ein Ferngespräch einmal verbunden war.

Im zweiten Stock liegen die Schlafräume. Zu Beginn wohnte Kevin in einem Vierer-Zimmer, da er noch keinen Rang hatte (no stripe bezieht sich auf die Streifen auf dem Ärmel). Als er befördert wurde zum Lance Corporal (one stripe), zog er in ein Privatzimmer. 

Die Armee stellte keine Staubsauger oder Waschmaschinen zur Verfügung, also mussten wir sie alle selbst kaufen. Es gab einen Mann in Block 24, der sich eine Waschmaschine besorgte. Also verlangte er von uns anderen Geld für die Benutzung der Maschine. Um zu verhindern, dass die Leute sie benutzen, ohne zu bezahlen, schnitt er das Ende des Kabels ab, steckte einen anderen Stecker an und machte eine kurze Verlängerung, die man an die Waschmaschine und dann an die Steckdose in der Wand anschließen konnte. Und wenn die Leute das Geld bezahlten, gab er ihnen das Verbindungsstück. Der Kollege hatte vieler solcher Ideen: Als er hier wohnte, wollte er ein eigenes Telefon in seinem Zimmer haben, damit er nach Großbritannien telefonieren konnte. Man konnte nicht einfach die 0044 eingeben, sondern musste durch die militärische Telefonzentrale gehen und sagen: Ich brauche bitte eine Telefonleitung nach Großbritannien. Das Büro des Squadron Sergeant Major hatte ein eigenes Telefon, das an das Militärnetz angeschlossen war. Und weil das Telefon im System auf diesen registriert war, konnte man so über das Militärnetz kostenlos ins Vereinigte Königreich telefonieren. Eines Tages fanden sie heraus, dass heimlich ein Kabel durch das Gebäude bis in eines der Zimmer gelegt wurde. Auch dafür gab es einen ordentlichen Schlag auf die Hand.



 

Die Leute haben es gehasst, wenn wir mit unseren Panzern mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h dort hingefahren sind. Die Autofahrer haben gehupt und gehupt – aber sie konnten nichts machen. Wenn man jetzt darüber nachdenkt, erscheint einem die Sache viel ernster: Damals haben wir uns auf einen Krieg gegen Russland vorbereitet. Das war ja der Grund, warum wir überhaupt hier in Deutschland waren. Die Briten in Deutschland – das war die erste Verteidigungslinie im Falle einer Invasion.

Panzer in einer Wohnstraße
Panzer in Gremmendorf waren damals gar kein so seltener Anblick.



 

Historische Aufnahme von Britischen Soldaten in einem Panzer



 

Heute können wir glücklicherweise sagen: Der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion sowie ihren jeweiligen Bündnissen ist in Europa nie zur offenen militärischen Auseinandersetzung eskaliert.

Auf dem Gelände der Swinton Barricade (heutige Loddenheide) war unser Panzerregiment stationiert. Eine Eisenbahnstrecke verlief direkt durch das Areal. Wenn wir zu Manövern fuhren, kam ein Zug ins Lager, die Panzer wurden verladen, und die Deutsche Bundesbahn brachte sie direkt zum Übungsgebiet. Das muss beeindruckend ausgesehen haben. Da fällt mir eine Geschichte ein: Ich habe meinen Panzer-Führerschein in der Swinton Barricade gemacht! Panzer haben kein Lenkrad, sondern werden mit zwei Hebeln gesteuert: Zieht man den linken, fährt der Panzer nach links, zieht man den rechten, fährt er nach rechts. Zum Anhalten muss man beide ziehen. Ich bin also gestartet, bog rechts auf den Albersloher Weg ab und fuhr am Rand des Geländes entlang. Plötzlich gingen die Bahnschranken herunter, und ich musste anhalten. Ich saß einfach da und wartete. Als die Schranken endlich hochgingen und ich gerade wieder losfuhr, rief der Prüfer, der oben auf dem Panzer stand: „Okay, zieh links ran.“ Ich tat, wie er sagte, und er meinte nur: „Bestanden – nächster!“ Meine gesamte Fahrprüfung dauerte also gerade einmal zwei Minuten, und ich fuhr nur 200 Meter. Das war mein Test für das Fahren von Panzern.

 

 

Der Kiepenkerl in Schottland

Kevin berichtet, dass er als Abschiedsgeschenk von der Kaserne eine Bleistiftzeichnung des Muenstermans bekam. „Ein alter Mann mit Rucksack – kennt man den noch?”, will er wissen. „Das Bild hängt noch immer bei uns Zuhause an der Wand, unten an der Treppe.“ Muensterman – so nennen die Briten den Kiepenkerl. Kevin hat damals sogar eine Motorsport-Rallye des Britischen Militärs, die er organisierte, nach ihm benannt: Exercise Muensterman. Er freut sich zu hören, dass der Kiepenkerl einen festen Platz im Herzen der Münsteraner:innen hat und plant, am nächsten Tag sein Denkmal am Spiekerhof zu besuchen. 

Morgen steht Sightseeing in Münster Zentrum an, Gievenbeck und Senden haben Jenny und Kevin schon besucht. Danach wollen sie noch nach Minden und nach Düsseldorf. Die Zeitreise nimmt ihn mit: Immer wieder entschuldigt er sich, dass ihm die Tränen in die Augen schießen. Es sei das Alter, das ihn emotional mache. „Was wir hier als britische Soldaten in den 1980er- und 90er-Jahren erlebt haben sind jetzt nur noch Erinnerungen. Alles ändert sich. Das bedeutet auch: Hier werden junge Familien leben, es wird eine Gemeinschaft geben. Das finde ich großartig.“ 

Ein Mann steht neben einem Bild von dem Kiepenkerl
Eine Erinnerung an Kasernenzeiten: In seinem schottischen Zuhause erinnert der Kiepenkerl Kevin an seine Stationierung in der Oxford-Kaserne.
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